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22. April 2021

Vortrag zur Entstehung des Ökumenischen Kirchenzentrums
mit Prof. Dr. Johannes Stückelberger

Geschichte, Symbolik, Bedeutung, Architektur; des ersten Ökumenischen Kirchenzentrums der Schweiz.

Die Veranstaltung fand statt, mit freundlicher Unterstützung der SIA Sektion Solothurn




GENIUS LOCI – ÖKUMENISCHES KIRCHENZENTRUM LANGENDORF
Das Ökumenische Kirchenzentrum Langendorf ist 50 Jahre alt. Wie ist es entstanden? In einem Vortrag im April beleuchtet Prof. Dr. Johannes Stückelberger die Planungs- und Baugeschichte. Im Vorfeld beantwortet er «solothurn.reformiert» schriftlich Fragen zu seiner Tätigkeit und seinem Interesse an der
Kirche Langendorf.

solothurn.reformiert: Herr Stückelberger, wann und wie wurden Sie aufmerksam auf das Ökumenische Kirchenzentrum Langendorf?
Johannes Stückelberger: Erstmals eingehender beschäftigt habe ich mich mit dem Kirchenzentrum Langendorf im Zusammenhang mit einem Vortrag, den ich 2013 auf einer internationalen Tagung gehalten habe. Die Tagung beschäftigte sich mit Liturgiereformen in den Kirchen. In meinem Beitrag versuchte ich, die in den 1960er-Jahren neu entstehenden ökumenischen Kirchenzentren vor dem Hintergrund der Liturgiereformen des Zweiten Vatikanischen Konzils zu diskutieren, das 1962 mit dem Auftrag zu pastoraler und ökumenischer Erneuerung einberufen wurde.

Sie sind Titularprofessor für Neuere Kunstgeschichte an der Universität Basel und Dozent für Religions- und Kirchenästhetik an der Universität Bern. Was interessiert Sie als Kunsthistoriker an diesem Sakralbau?
An Sakralbauten interessiert mich, wie in ihnen der Glaube und das Kirchenverständnis einer Zeit Gestalt annimmt, sich architektonisch ausdrückt. In Langendorf galt es, einen neuen Bautypus zu erfinden, den es bis dahin noch nicht gegeben hat: eine Kirche für zwei Konfessionen, die sich über Jahrhunderte feindlich gegenübergestanden hatten. Zwar gab es früher schon Kirchen, die von verschiedenen Konfessionen gemeinsam genutzt wurden, die sogenannten Simultankirchen, doch dass Katholiken und Reformierte gemeinsam einen Neubau errichteten, das gab es bis dahin nicht.

Womit beschäftigt sich die Religions- und Kirchenästhetik?
Religions- und Kirchenästhetik widmet sich der Rolle der Wahrnehmung in den Religionen und Kirchen. Sie fragt, welche Bedeutung sinnlichen Elementen zukommt, dem Optischen, dem Akustischen, dem Haptischen. Religiöse Erfahrung stellt sich ja nicht nur über das Wort ein, sondern auch im Gesang, im Raum, im Bild, im Duft, im Licht etc. Religions- und Kirchenästhetik, wie ich sie als Kunsthistoriker ausübe, beschäftigt sich kurzgefasst mit den Themen «Sakralbau» sowie «Bild und Religion».

Welche formalen, ästhetischen und gesellschaftlichen Fragen stellten sich dem Architekten Manuel Pauli in Langendorf? Wie hat er sie gelöst?
Die Architekten der Nachkriegszeit suchten nach einer Ästhetik, die die Aufbruchsstimmung und den Fortschrittsglauben ihrer Zeit spiegeln sollte. Sie fanden sie in einer betont modernen, schlichten Formgebung, in einer funktionalistischen Raumkonzeption sowie in einer Konstruktionsweise mit vorgefertigten Elementen. Dem Kirchenzentrum von Langendorf verlieh Pauli im Grundriss und im Äussern eine geschlossene Gestalt, nach innen zeichnet es sich durch zwei getrennte Baukörper aus, zwischen denen eine Gasse hindurchführt. Der Bau schafft ein neues Zentrum innerhalb des Dorfes.

Wie beeinflusst die formale Sprache die ökumenische Praxis?
Ein Nebeneinander, eine Synthese katholischer und reformierter sakraler Elemente – oder ein dritter Weg?

In Langendorf haben die beiden Konfessionen je einen eigenen Gottesdienstraum. Beide Räume sind jedoch einem grösseren Ganzen eingeschrieben und beziehen sich spiegelbildlich aufeinander. Theologisch ausgedrückt bringt der Bau ein Miteinander zum Ausdruck, unter Respektierung der Eigenheiten und spezifischen Bedürfnisse der beiden Konfessionen in der Liturgie. Einen Gemeindesaal, die Unterrichtsräume sowie die Jugendräume teilen sich die beiden Konfessionen.

Bietet der Bau Spielraum für Veränderungen, Neuaneignungen aufgrund sich wandelnder Glaubensvorstellungen und religiöser Praktiken?
Wie altert er?
Heute würde eine ökumenische Kirche vermutlich mit nur einem Kirchenraum gebaut. Schon in den 1960er-Jahren gab es in den wenigen ökumenischen Kirchen, die in der Schweiz errichtet wurden, unterschiedliche formale Lösungen für das Mit- und Nebeneinander der beiden Konfessionen. Jeder Kirchenbau ist Ausdruck der Theologie einer bestimmten Zeit. Insofern altert er. Doch in der Nutzung bietet jeder Bau – und so auch das Kirchenzentrum Langendorf – Spielräume für Veränderungen. Wenn diese Spielräume genutzt werden, bleibt der Bau jung und dient weiterhin einer lebendigen Gemeinde.

Für die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn fungieren Sie als Fachbeauftragter für Kirchenbau und kirchliche Gastfreundschaft. Womit beschäftigen Sie sich in dieser Funktion?
Unter anderem berate ich Kirchgemeinden bei Bauvorhaben etwa in Fragen der Neugestaltung, die sich stellen, wenn man einen Raum an neue liturgische und andere Bedürfnisse anpassen will. Flexibel nutzbare Räume sind heute das grosse Thema. Ich biete eine Ausbildung für Kirchenführerinnen und Kirchenführer an. Und ich habe eine Webseite aufgebaut, auf der die über 300 reformierten Kirchen im Gebiet der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn dokumentiert sind (www.kirchenvisite.ch). Die Webseite ist eine Dienstleistung für die Kirchgemeinden, aber auch für die Öffentlichkeit. Viele Leute haben das Bedürfnis, Kirchen zu besuchen, wenn auch nicht unbedingt im Rahmen eines Gottesdienstes. Kirchen sind wichtige Orte für die Gesellschaft: als religiöse Orte, als Kulturdenkmäler, als Ruheorte, Anderorte.

Die Funktionsbezeichnung nimmt auf, dass Kirche verschiedene Funktionen hat. Wo sehen Sie in dieser Hinsicht den Platz und die Zukunft des Bauensembles
in Langendorf?

Genau, es geht mir in der Tat darum, die vielen Funktionen sichtbar zu machen, die Kirchen in unserer Gesellschaft erfüllen. Was eine allfällige erweiterte Nutzung des Bauensembles in Langendorf in Zukunft betrifft, würde ich bei dessen Namen ansetzen. Es trägt den Namen Zentrum, was eine Öffnung hin zu weiteren Nutzergruppen gleichsam nahelegt. Unsere Gesellschaft braucht nicht nur Einkaufs-, Sport und andere Zentren, sie braucht auch Gemeinschaftszentren. Das Ökumenische Zentrum Langendorf bietet alle Voraussetzungen dafür.

Wie hat sich Ihr Blick auf das Ökumenische Kirchenzentrum über die Jahre gewandelt?
Infolge meiner intensiven Beschäftigung mit dem Thema «Kirchenumnutzung» ist der historische Blick ein bisschen in den Hintergrund getreten zugunsten eines Blicks nach vorne. Doch möchte ich gerne beides verbinden. Mich begeistert nach wie vor, dass und wie man es in den 1960er-Jahren geschafft hat, ein solches Zentrum zu bauen. Wenn man von einem genius loci ausgeht oder von einer Langendörfer DNA, bin ich zuversichtlich, dass der Bau auch in Zukunft ein visionärer und lebendiger Ort bleiben wird.